Ein Rückblick auf das Fluorid-Symposium am 16. Oktober

„Fluoride sind gut für die Zähne – Fluoride brauchen wir gar nicht – Fluoride sind Gift – Wir brauchen mehr Fluorid… Die Verwirrung ist groß! Was stimmt denn nun?“ Das am 16. Oktober abgehaltene Symposium des Zahnmedizinischen FortbildungsZentrums Stuttgart räumte auf mit gegensätzlichen Empfehlungen rund um das ewig kontroverse Thema Fluorid.

Prof. Dr. Johannes Einwag, der Leiter des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart, brachte die aktuelle Situation mit den ersten Worten seiner „Einführung in die Thematik“ auf den Punkt. Das Thema sei ja grundsätzlich nicht neu. Irgendwie könne man bei den Diskussionen um den Einsatz von Fluorid in der Zahnmedizin von einer „never ending story“ in „Wellen“ sprechen: manchmal kaum wahrzunehmen und dann wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Die Auslöser für öffentliche Debatten seien dabei unterschiedlich und reichen von rechtlichen Bedenken (z.B. Charakterisierung der Trinkwasserfluoridierung als Zwangsfluoridierung) über toxikologische Bedenken (Auslöser von Dentalfluorose oder Organschäden) bis hin zu Publikationen, in denen der Nutzen der Fluoridierung überhaupt angezweifelt wird („Es geht auch ohne!“).

Die Ursache der aktuellen Verwirrung seien hingegen im Wesentlichen Folge eines „Kommunikationsproblems“: Neue Empfehlungen einiger weniger Fachgesellschaften wurden nicht im Rahmen einer Aktualisierung der bestehenden Leitlinien in die Diskussion eingebracht, sondern vorab veröffentlicht! Das heißt: Es existieren aktuell parallel Leitlinien und davon abweichende Empfehlungen.

Die Konsequenz daraus ist, dass Hersteller von Fluoridzahnpasten für Kinder unterschiedliche Produkte entwickelten,, die einen auf der Basis der Leitlinien, die anderen auf der Basis der Empfehlungen. In den ZM erscheinen die neuen Empfehlungen, während die KZBV in aktuell aufgelegten Patienteninformationen „Gesunde Zähne für ihr Kind“ noch die Angaben der Leitlinien veröffentlicht.

Die Verwirrung ist komplett. Ein Beispiel: Zahnärztin/ Zahnarzt und/oder Prophylaxeteam erklären dem Patient die Fluoridierung auf der Basis der neuen Empfehlungen und überlassen ihm als häusliche Lektüre davon abweichende Patienteninformationen in schriftlicher Form. Es ist nicht auszuschließen, dass Patienten dann komplett auf den Gebrauch fluoridhaltiger Produkte verzichten. Was aktuell benötigt wird, ist Sicherheit, nicht zuletzt durch ein einheitliches „Wording“! „Aufklärung tut Not, um Schaden von der Zahngesundheit der Bevölkerung abzuwenden“! Die sei der Zweck des Symposiums, zu dem sich knapp 300 Teilnehmer in der Sindelfinger Stadthalle zusammengefunden hatten.

Als erster Referent informierte Prof. Dr. Adrian Lussi, Bern, über die „Wirkungsweise von Fluorid im Rahmen der Kariesprophylaxe (Schmelz/Dentin) und der Erosionsprophylaxe“.
Zähne sind neben der Pulpa aus dem sehr gut mineralisierten Schmelz und aus dem deutlich mehr organische Matrix enthaltenden Dentin und Zement aufgebaut. Die mineralische Phase dieser Zahnhartsubstanzen ist kein reiner Hydroxylapatit (HAP = Ca10 (PO4)6 OH2), sondern es handelt sich um ein kalziumarmes Biomaterial, in das andere Ionen eingebaut sind. Ein erhöhter Karbonatanteil des Dentins (5,5%) im Vergleich zum Schmelz (3%) sowie die kleinen Kristalle führen zu einer höheren Säureanfälligkeit des Dentins. Demgegenüber kann der partielle Ersatz der OH-Gruppen im Kristallgitter durch Fluoridionen eine gewisse Stabilisierung der Apatitstruktur bewirken. Im gesunden menschlichen Zahnschmelz ist neben HAP auch Fluoridhydroxyapatit (FHAP) oder Fluorapatit (FAP) vorhanden, wobei in der äussersten Schmelzschicht weniger als 5% der OH-Gruppen des HAP durch Fluorid ersetzt sind. Bereits in einer Tiefe von 50 µm sinkt dieser Anteil weiter ab.

Der Kariesrückgang in den Industrieländern während den letzten Jahrzehnten beruht haupt-sächlich auf der Anwendung von Fluoriden, wobei die lokale Fluoridapplikation von Bedeutung ist. Die Verwendung von fluoridhaltigen Zahnpasten steht dabei im Vordergrund. Fluoridapatit und FHAP haben nur ein geringes kariesprotektives Potential, die gelösten Fluoride in der Umgebung des Schmelzes dagegen sind sowohl in der Förderung der Remineralisation als auch in der Hemmung der Demineralisation wirksam. Zieht man in Betracht, dass die Abnahme der Karies im gleichen Zeitraum erfolgte, in dem auch lokale Fluoridierungsmassnahmen verbreitet angewendet wurden, scheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass durch regelmässige F–-Applikation die Karies optimal gehemmt werden kann. Als Nebenwirkung ist während der Entwicklung der Zahnkronen Zahnfluorose möglich.

Eine wachsende Bedeutung haben Fluoridverbindungen auch im Rahmen der Erosionsprophylaxe. In diesem Zusammenhang stehen vor allem die «Gegenionen» des Fluorids (z.B. das Zinn im Zinnfluorid) im Mittelpunkt.

„Wirksame und sichere Anwendung fluoridhaltiger Produkte – allgemeine Grundlagen“ lautete der Titel von Prof. Dr. Elmar Hellwig aus Freiburg. Fluorid kommt ubiquitär vor und wird mit dem Trinkwasser und der Nahrung täglich aufgenommen. Dabei verschlucken Erwachsene ca. 0,5 – 0,8 mg Fluorid pro Tag. 60 – 80 Prozent des verschluckten Fluorids gelangt in den Blutkreislauf und baut sich in die Knochen ein. Auch sich entwickelnde Zähne reichern an der Oberfläche Fluorid an. Beim Durchbruch der Zähne besitzen diese an der Schmelzoberfläche eine Fluoridkonzentration zwischen 300 – 500 ppm, die jedoch offensichtlich nicht ausreicht, um Karies zu verhindern. Man geht daher heute davon aus, dass Fluorid zusätzlich präeruptiv an der Zahnoberfläche vorliegen muss, um eine kariespräventive Wirksamkeit zu entfalten.

In zahlreichen internationalen Leitlinien wird die Evidenz für die Fluoridwirkung beschrieben. Dabei wird insbesondere auf die Wirkung und Wirksamkeit fluoridhaltiger Zahnpasten Bezug genommen. In einem neuen systematischen Review der Cochrane Library wird deutlich unterstrichen, wie wichtig das Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta ist. Unabhängig davon kann bei kariesaktiven Patienten die Applikation von fluoridhaltigen Gelen, Lacken oder Mundspüllösungen empfohlen werden. Insbesondere bei Patienten mit Wurzelkaries zeigt sich, dass die tägliche Anwendung hochkonzentrierter Zahnpasten zur Prävention bzw. Verhinderung der Progression zu empfehlen sind. Dies gilt auch für Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko aufgrund von festsitzenden kieferorthopädischen Geräten. Allerdings zeigt sich auch, dass bei hohem Zuckerkonsum die Applikation von fluoridhaltigen Kariostatika die Karies nicht vollständig verhindern kann. Bezüglich der schädlichen Nebenwirkungen einer Fluoridapplikation zeigen zahlreiche Studien, dass Fluorid keine Allergien auslöst, dass Fluorid kein ätiologischer Faktor für Tumorerkrankungen oder Allgemeinerkrankungen ist, nicht die Sterblichkeitsrate erhöht und somit in den empfohlenen Dosierungen unbedenklich angewandt werden kann.

Dies gelte selbstverständlich auch für die Anwendung fluoridhaltiger Produkte bei Kindern ergänzte Frau Prof. Dr. Katrin Bekes aus Wien und präsentierte in ihrem Referat „Wirksame und sichere Anwendung fluoridhaltiger Produkte – Spezielle Maßnahmen bei Kindern“ die neuen Fluoridierungsempfehlungen für diese Altersgruppe.

Für Kinder gibt es seit dem letzten Jahr neue Empfehlungen für den Gebrauch fluoridhaltiger Zahnpasten, die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) und der Deutschen Gesellschaft für Präventive Zahnmedizin (DGZPM) sowie weiteren Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden verabschiedet wurden. Diese sehen vor, dass bereits ab dem Durchbruch des ersten Milchzahnes zweimal täglich mit einer erbsengroßen Menge einer Zahnpasta mit 500 ppm oder mit einer reiskorngroßen Menge einer Zahnpasta mit 1.000 ppm geputzt wird. Vom zweiten bis zum sechsten Lebensjahr sollte dann zweimal täglich eine Zahnpasta mit 1.000 ppm in einer erbsengroßen Menge verwendet werden. Anlass für die Neustrukturierung ist die Tatsache, dass der Kariesrückgang im Milchgebiss im Vergleich zu den bleibenden Zähnen deutlich geringer ausfällt. Darüber hinaus werden international schon längst Zahnpasten mit höherer Fluoridkonzentration für Kinder bis zum sechsten Geburtstag empfohlen.

Eine weitere Neuerung gibt es im Bereich der Applikation von Fluoridlacken im Kleinkindalter. Das Auftragen dieser Lacke ist für Kinder zwischen dem 6. und 34. Lebensmonat seit diesem Jahr eine Kassenleistung geworden. Der Anspruch besteht zweimal je Kalenderhalbjahr, unabhängig davon, ob bei den Kindern eine (initial-)kariöse Läsion vorliegt. Kinder zwischen dem 34. Lebensmonat und dem vollendeten 6. Lebensjahr haben weiterhin unverändert Anspruch auf Fluoridierung bei hohem Kariesrisiko.

FLA-Fluoridlackanwendung zur Zahnschmelzhärtung (14 Punkte):
Leistungsinhalt:
Anwendung von Fluoridlack einschließlich Beseitigung von sichtbaren weichen Zahnbelägen und der relativen Trockenlegung der Zähne

  • Die Die FLA kann bei Kindern vom 6. bis 33. Lebensmonat 2x je KH abgerechnet werden.
  • Ab dem 34. Lebensmonat ist die zweimalige Abrechnung je KH nur bei hohem Kariesrisiko möglich.

Abschließend ein besonderer Service: Das ZFZ hatte bereits im Vorfeld des Symposiums die Teilnehmer gebeten, die häufigsten Fragen ihrer Patienten (FAQ’S) und auch des Praxisteams zum Thema Fluoride mitzuteilen.

Dutzende Fragen gingen ein, wurden gesichtet, in fünf Bereiche (Grundlagen, Wirkungsweise, Nutzen, Risiken und Anwendung) strukturiert, beantwortet und in einer Broschüre für den Praxisalltag zusammengefasst.

Prof. Dr. Johannes Einwag, der Direktor des ZFZ stellte diese Broschüre in einer Fragestunde „Wie sag ich’s dem Patient – was sag ich dem Patient“ abschließend vor.

Sämtliche Fragenkomplexe wurden nochmals detailliert erläutert, um ein Höchstmaß an Informationsdichte und Konsens zu erzielen, ein Konzept, das mit großem Beifall bedacht wurde.

In einer begleitenden Dentalausstellung waren zudem einige der wichtigsten Hersteller fluoridhaltiger Produkte vor Ort. Die Aussteller präsentierten zum Teil Innovationen, die bislang nicht zu sehen waren und ermöglichen den Fortbildungsteilnehmern einen direkten Zugang zu den im Rahmen der Fortbildung erwähnten Produkten.
Absolute Praxisnähe war garantiert – die Erkenntnisse konnten am folgenden Tag umgesetzt werden.

Fazit: Ein gelungener und äußerst informativer Fortbildungsnachmittag, der die Teilnehmer trotz traumhaften Herbstwetters außerhalb der Tagungsräume bis zum Schluss fesselte.