Erfolgreiche Periimplantitistherapie 3.0 – Fake News oder Good News?
Für die chirurgische Therapie einer Periimplantitis gibt es eine große Zahl an verschiedenen Ansätzen und Methoden, wobei im Fokus immer die Dekontamination der betroffenen Areale steht. Besonders die Möglichkeiten dieser Dekontamination wurden in der Vergangenheit kritisch betrachtet bzw. teilweise angezweifelt. Auch in der Zahnmedizin gilt die Wissenschaft und Forschung als seriöse, vertrauensvolle Quelle, gerade in Zeiten von sogenannten Fake News und Filterblasen. Der Autor beschreibt aus dem Praxisalltag heraus den Umgang mit der Periimplantitis und stellt ein bewährtes dreiphasiges Therapiekonzept vor.
Pro Jahr werden in Deutschland ca. 1,3 Millionen Implantate inseriert; Tendenz weiter steigend [8]. Mit dieser zunehmenden Implantatanzahl steigen auch die Inzidenz periimplantärer Entzündungen und die Anzahl betroffener Patienten. Sowohl die periimplantäre Mukositis also auch die Periimplantitis sind ernsthafte Komplikationen, deren Therapie auch für den allgemeinpraktizierenden Zahnarzt an Relevanz gewinnt. Der Allgemeinzahnarzt sollte zusätzlich zu einem Prophylaxekonzept einen „Notfall-Fahrplan“ präsent haben, auf den er zurückgreifen kann. In schwerwiegenden Situationen soll die Überweisung an einen auf diesem Gebiet erfahrenen Kollegen eine Option sein. Oft ist die chirurgische Intervention die einzige Möglichkeit, das Implantat zu erhalten und den Patienten zur Beschwerdefreiheit zu führen. Hierbei gab und gibt es zahlreiche Therapieansätze und operative Verfahren. Grundsätzlich sollte die wissenschaftliche Literatur bzw. die Leitlinien als Richtschnur für die adäquate Beurteilung und erfolgreiche Therapie herangezogen werden. Gerade in Zeiten von Fake News (z.B. in sozialen Netzwerken) bilden die wissenschaftlich erhobenen Ansätze dem Zahnarzt eine sichere Basis. Die S3-Leitlinie der DGZMK aus dem Jahr 2016 „Behandlung periimplantärer Infektionen an Zahnimplantaten“ informiert umfassend über Ursachen, Diagnostik und Therapie periimplantärer Erkrankungen.
Allgemeiner Überblick zu periimplantärer Mukositis und Periimplantitis
Zunächst gilt es, die Symptome zu beurteilen und anhand dessen das Krankheitsbild einzugrenzen bzw. einen möglichen Therapieweg zu eruieren. Periimplantäre Erkrankungen werden anhand der Ausbreitung der Entzündung in 2 Kategorien eingeteilt. Während die periimplantäre Mukositis als reversible Entzündung auf das suprakrestale Weichgewebe beschränkt und der Knochen nicht erreicht ist, hat die Periimplantitis als progressiv verlaufende Entzündung den Knochen bzw. das umgebende Knochenlager erreicht und Symptome (z.B. Resorptionen) ausgelöst. Die Mukositis entspricht prinzipiell einer Gingivitis am Zahn. Eine gründliche Prophylaxebehandlung ist hier Erfolg versprechend. Die Periimplantitis hingegen zeigt auf histopathologischer Ebene signifikante Unterschiede zu einer Parodontitis. Hier ist als Therapiemaßnahme häufig eine chirurgische Intervention notwendig.
Grundsätzlich beträgt die Prävalenz der periimplantären Mukositis im Mittel 43% (19 bis 65%) und die der Periimplantitis 22% (1 bis 47%) [1]. Die relativen Zahlen variieren, da sich u.a. die Kriterien für einen Implantaterfolg unterscheiden. Insgesamt betrachtet lässt dies jedoch auf eine hohe absolute Fallzahl schließen. Im Hinblick auf die gestiegene Anzahl von Implantatinsertionen in den vergangenen Jahren ist anzunehmen, dass eine deutliche Zunahme von periimplantären Erkrankungen auch in der allgemeinzahnärztlichen Praxis zu erwarten ist. Eine nicht behandelte periimplantäre Entzündung führt in der Folge früher oder später zu einem Implantatverlust (Abb. 1 und 2). In den wenigsten Fällen ist es eine Schmerzsymptomatik, die auf eine Periimplantitis schließen lässt. Weder für die Diagnosestellung noch für die Beurteilung des Therapieerfolges ist das subjektive Beschwerdebild des Patienten ausschlaggebend [11].
Risikofaktoren
Grundsätzlich kann zwischen den lokalen und den systemischen Risikofaktoren unterschieden werden. Hauptrisikofaktor für eine Periimplantitis ist immer der bakterielle Biofilm [11]. Bei der periimplantären Mukositis stellt das Rauchen ein großes Risiko dar [9]. Auch Zementreste oder ein unbehandelter Diabetes mellitus können die Erkrankung begünstigen [7]. Betrachtet man die Literatur zum Entstehen einer Periimplantitis, stehen die parodontale Vorerkrankung sowie auch das Rauchen im Fokus. Zudem scheinen Implantate im Oberkiefer anfälliger für eine Periimplantitis zu sein [3,14]. Auch das Fehlen einer keratinisierten Mukosa oder knöcherne Restdefekte nach einer simultanen Augmentation werden als Risikofaktoren genannt [4,6,12]. Zudem ist bei einem festsitzenden Zahnersatz die Gefahr einer periimplantären Erkrankung erhöht. Zurückgeführt werden kann dies unter anderem auf eine häufig erschwerte Hygienefähigkeit im Vergleich zu herausnehmbaren prothetischen Versorgungen. Schließlich sind immer auch iatrogene Faktoren zu betrachten, die eine Periimplantitis begünstigen können, z.B. eine insuffiziente prothetische Restauration, ein Spalt zwischen Abutment und Krone oder fehlpositionierte Implantate [5].
Diagnostik
Eine weitreichende Problematik ist, dass Patienten häufig die periimplantären Infektionen kaum bemerken, da sie oft schmerzlos verlaufen. Daher ist bereits im Verdachtsfall eine umfassende klinische Diagnostik empfohlen. Primäre Maßnahmen sind das Erheben von Sondierungstiefen mit der Parodontalsonde bzw. die Beurteilung der Blutung auf Sondieren (BOP) um das Implantat herum. Um angrenzende Gewebe nicht zu verletzen, ist die Sondierung immer mit der nötigen Vorsicht (leichter Druck) vorzunehmen. Erschwerend stellt sich der Sondierungsvorgang durch ein Implantatdesign mit Platform-Switching oder ausladend gestalteten Abutments dar. Von einigen Autoren diskutierte Nachteile einer Sondierung mit Sonde (z.B. Beschädigung der Implantatoberfläche) sind nicht nachgewiesen.
Tritt bei der vorsichtigen Sondierung eine Blutung (BOP) auf, muss von einer periimplantären Infektion ausgegangen werden. Bei der Periimplantitis kann die Blutung von putrider Exsudation begeleitet sein [11]. Im Gegensatz zur Diagnostik einer Parodontitis ist bei der Periimplantitis die absolute Taschentiefe bei der Sondierung weniger entscheidend. Vielmehr gilt es, einen vergleichenden Wert zu ermitteln. Als Referenz dient die Sondierungstiefe zum Zeitpunkt der Eingliederung der implantatprothetischen Versorgung. Wird eine Erhöhung der Taschentiefe festgestellt, ist eine Periimplantitis sehr wahrscheinlich. Zum Zeitpunkt des Einsetzens der prothetischen Versorgung sollte die Sondierungstiefe ermittelt werden, um so später einen Referenzwert vorliegen zu haben.
Zudem ist die radiologische Untersuchung eine Routine-Diagnostik, bei der sich röntgenologisch der Knochenabbau evaluieren bzw. in die verschiedenen Klassen (horizontal, schlüsselförmig, trichterförmig, spaltförmig) einteilen lässt. Hiermit kann die periimplantäre Mukositis sicher von einer Periimplantitis abgegrenzt werden. Bei einer Mukositis stellt sich keinerlei Knochenabbau dar. Bei der Periimplantitis ist der Knochenrückgang sichtbar (Abb. 3). Zu bedenken ist, dass es physiologische Remodellationen mit gewissem Knochenumbau gibt, welche von der pathologischen Resorption zu unterscheiden sind [11]. Ideal für die radiologische Diagnostik sind Zahnfilmaufnahmen, die mit der Paralleltechnik angefertigt werden. Der Zentralstrahl ist senkrecht zur Implantatachse ausgerichtet, sodass der Limbus alveolaris unverzerrt abgebildet wird. Empfohlen wird, zum Zeitpunkt des Einsetzens der implantatprothetischen Restauration eine radiologische Kontrollaufnahme (Zahnfilm, Paralleltechnik) zur Dokumentation anzufertigen, um etwaige infektiös bedingte Resorptionen beurteilen zu können.
Therapie der Periimplantitis
Grundsätzlich wird jeder Patient bereits präoperativ über alle Risikofaktoren aufgeklärt. Zudem wird ein entsprechendes Nachsorgeprogramm angeraten. Doch trotz aller prophylaktischer Maßnahmen treten periimplantäre Erkrankungen auf. Wird eine Periimplantitis diagnostiziert, sind verschiedene Therapiewege möglich. Erneut sollten hierbei wissenschaftlich fundierte Fakten das weitergehende Konzept bestimmen und nicht subjektive Meinungen bzw. Fake News. Im Fokus steht der Versuch, eine Progression der Periimplantitis zu verhindern, indem die pathogene Mikroflora entfernt wird. In unserer Praxis wird nach einem 3-Phasen-Protokoll gearbeitet, welches wir vor Jahren kennengelernt haben, wobei nach jeder Phase die Notwendigkeit des nächsten Schrittes evaluiert wird.
- Phase 1: Geschlossene periimplantäre Tiefenreinigung (Debridement)
- Phase 2: Chirurgische Intervention mit Defektöffnung und Dekontamination
- Phase 3: Erneute Dekontamination und chirurgisch korrigierende Maßnahmen
Analog zur Therapie einer Parodontitis wird schematisch vorgegangen. Der systemischen und Hygienephase folgen die Erhaltungs- und die korrektive Phase. Grundsätzlich ist die Reinigung der Implantatoberfläche durch ihre spezielle Morphologie erschwert. Zusätzlich zur mechanischen Entfernung des Biofilms ist eine Dekontamination der freiliegenden Implantatoberflächen erforderlich.
Phase 1: Geschlossene periimplantäre Tiefenreinigung
Dieser Schritt kann beim Hauszahnarzt erfolgen. Die prothetische Versorgung wird entfernt. Die Implantate werden mit einer Abdeckschraube verschlossen. Unter Lokalanästhesie erfolgt das mechanische Reinigen des periimplantären Sulkus sowie der erreichbaren Implantatkomponenten mit Hand- und Ultraschallinstrumenten (Titanscaler, PEEK-Ansätze). Gegebenenfalls kommen das Pulverstrahlgerät bzw. Airpolishing (z.B. Perioflow mit Glycinpulver) zur Anwendung (Abb. 6 bis 8). Es folgen die Spülung mit H2O2; optional kann CHX-Gel instilliert werden. Der Patient wird angehalten, in den folgenden Wochen zweimal täglich mit CHX-Lösung zu spülen.
Verschraubte Konstruktionen sind unter dem Aspekt der Prophylaxe und Therapie der Periimplantitis im Vorteil. Einerseits lassen sich bei dieser Art der Fixierung Zementreste suffizient und zuverlässig vermeiden. Andererseits ist die Entfernung der Suprakonstruktion im Bedarfsfall sicherer und effizienter möglich. Gegebenenfalls kann es notwendig sein, bei einer zementierten Restauration eine prothetische Neuanfertigung vorzunehmen. Insbesondere, wenn nach der Entfernung der zementierten Suprakonstruktionen im Rahmen der Wiedereingliederung Zementreste nicht sicher vermieden werden können (z.B. aufgrund des Abutmentdesigns), ist dies in Betracht zu ziehen. Soll die vorhandene Konstruktion erhalten werden, kann diese alternativ ggf. umgearbeitet werden (Abb. 4 und 5). Insbesondere bei periimplantären Entzündungen, die aus Zementresten resultieren, kann mit der geschlossenen periimplantären Tiefenreinigung seitens des Hauszahnarztes viel erreicht werden.
Phase 2: Chirurgische Intervention mit Defektöffnung und Dekontamination
Nach Abschluss der geschlossenen Tiefenreinigung erfolgt die Beurteilung des periimplantären Zustands. Besteht weiterer Handlungsbedarf, ist eine chirurgische Intervention erforderlich (Abb. 9 und 10). Das Vorgehen ist technisch sowie operativ anspruchsvoll. Unter Umständen sollte der Patient für die chirurgischen Maßnahmen (Phase 2 und 3) an einen Experten überwiesen werden. Nach der Defekteröffnung (z.B. Mukoperiostlappen) erfolgt die Entfernung des Granulationsgewebes mit Handinstrumenten (Titanscaler). Im Anschluss werden die Implantatoberflächen maschinell (z.B. Titanbürste, Straumann) oder mit dem Pulverstrahlgerät bzw. Airpolishing (z.B. Perioflow mit Glycinpulver) gereinigt. Für die Dekontamination der Implantatoberflächen kommt CHX-Gel oder Wasserstoffperoxid H202 zur Anwendung. Darüber hinaus dienen zur Konditionierung der Implantatoberflächen Zitronensäure oder Pref-Gel (Straumann). Auch die benachbarten Wurzeloberflächen werden bei diesem Eingriff gereinigt. Letztlich erfolgt der Wundverschluss mit einer Einzelknopf- bzw. horizontalen Matratzennaht.
Grundsätzlich sollten bei der chirurgischen Therapie nicht nur das Granulationsgewebe und der anhaftende Biofilm eliminiert werden, sondern insbesondere auch anhaftende Mikroorganismen von der strukturierten Implantatoberfläche (Dekontamination).
Phase 3: Erneute Dekontamination, Augmentation oder Weichgewebekorrektur
Nach Abschluss der Phase 2 erfolgen erneut eine Evaluation des periimplantären Zustands und die Entscheidung darüber, ob weitere chirurgische Maßnahmen für den Implantaterhalt erforderlich sind. Ist der gewünschte Therapieerfolg nicht erreicht, kommen 6 bis 8 Wochen nach Phase 2 chirurgisch korrigierende Maßnahmen zum Einsatz. Hierzu zählen verschiedene Techniken der Knochenaugmentation sowie Korrekturen im Bereich der Weichgewebe. Beispielhaft genannt sei die GBR mit titanverstärkter ePTFE-Membran (Neo- Gen von Neoss) oder das freie Schleimhauttransplantat (FST) mit Vestibulumplastik (Abb. 11 bis 13). Zur Defektauffüllung hat sich autogener Knochen bewährt; als Entnahmestelle empfiehlt sich die Region der Linea obliqua mandibulae. Zur Stabilisierung der periimplantären Mukosa kann eine Weichgewebeaugmentation vorgenommen werden. Mögliche Maßnahmen sind die Verdickung des Weichgewebes, das Schaffen von befestigter Gingiva etc. Es muss klar festgestellt werden, dass das Ergebnis unter ästhetischen Aspekten nicht sicher vorhersagbar bzw. eine gewisse ästhetische Beeinträchtigung nicht komplett auszuschließen ist. Vielmehr handelt es sich primär um einen funktionellen, implantaterhaltenden Aspekt. Zeigen sich bei der Nachkontrolle im Rahmen einer Reevaluation stabile, entzündungsfreie periimplantäre Verhältnisse, erfolgt eine engmaschige Nachsorge mit subgingivaler Biofilmentfernung an allen Implantaten und natürlichen Zähnen.
Fazit
Periimplantäre Erkrankungen werden dem Zahnarzt zunehmend begegnen und können erfolgreich behandelt werden (Abb. 14 und 15). Hierfür sollten entsprechende „Notfall- Fahrpläne“ vorliegen, die je nach Indikation zum Einsatz kommen. Eine periimplantäre Mukositis ist in der Regel durch eine regelmäßige professionelle, mechanische Plaqueentfernung beherrschbar [2]. Zudem sollte der Patient für die gründliche häusliche Mundhygiene motiviert werden [10]. Bei einer Periimplantitis – wie auch bei der Parodontitis – sollte die Therapie einem fundierten Konzept folgen. Im Artikel wurde ein mögliches 3-Phasen-Protokoll vorgestellt, welches sich im Alltag des Autors bewährt hat. Während Phase 1 in der Regel vom Hauszahnarzt vorgenommen werden kann, ist die chirurgische Intervention in Phase 2 und 3 gegebenenfalls an den Spezialisten zu übergeben. Grundsätzlich gilt: Eine frühzeitige Erkennung der Erkrankung beeinflusst den Therapieerfolg positiv. Daher sollten Patienten mit Implantaten in engmaschigen Nachsorgeintervallen (3 bis 5 Monate) die Praxis konsultieren. Letztlich ist die beste Therapie immer die Vermeidung der periimplantären Erkrankung und hierfür müssen bereits im Vorfeld des chirurgischen Eingriffs unterschiedliche Parameter beachtet werden. Die Möglichkeiten einer erfolgreichen Periimplantitis-Therapie sind weder Fake News noch entspringen sie den Ideen einer Filterblase. Grundlage ist das Einhalten der wissenschaftlichen Vorgaben, die aus seriösen, vertrauensvollen Quellen stammen. Für den Zahnmediziner bedeutet dies, sich mit der aktuellen Literaturlage auseinanderzusetzen und Informationen, die ihn aus vielen unterschiedlichen medialen Quellen erreichen, kritisch zu prüfen und zu hinterfragen. Gerade bei komplexen und umfassenden Maßnahmen ist die Erfahrung des Zahnarztes einer der entscheidenden Punkte für den vorhersagbaren und langfristigen Erfolg der Therapie. Das sind „Good News“ für Zahnärzte und Patienten.
Fachbeitrag von Dr. Benjamin Hundeshagen und Dr. Esther Kluk, M.Sc., zmk-aktuell.de vom 25.09.2019